Eine Anleitung für Einsteiger
ursprüngliche Fassung von Herugrim
Safety Tools sind Werkzeuge, die du nutzen kannst, um sicherzustellen, dass sich alle deine Spielerinnen und Spieler jederzeit am Tisch wohlfühlen.
Diese Tools sind besonders dann wichtig, wenn Inhalte deiner Spielrunde problematisch sein oder an die persönlichen Grenzen gehen könnten, sich jemand unwohl fühlt und die Notbremse ziehen möchte, helfen aber auch dabei, Tabus bzw. Grenzen im Vorfeld zu kommunizieren.
Was sind Safety Tools?
Manchmal können im Spiel Themen aufkommen, die für uns zu viel sind, uns großem Stress aussetzen oder dazu führen, dass wir uns unwohl fühlen. Safety Tools ermöglichen es der Spielleitung und den Spielern, vor, während und nach dem Spiel miteinander zu kommunizieren und so sicherzustellen, dass alle zusammen Spaß haben.
Safety Tools sind vor allem dazu da, bereits bekannte Grenzen zu kommunizieren (nicht jede irgendwie mögliche Problematik abzudecken!), aber im Zweifelsfall signalisieren zu können, dass man sich unwohl fühlt.
Sie sind nicht dazu da, Spielstile oder bewusste Entscheidungen, was Inhalte angeht, zu zensieren, sondern sollen es uns ermöglichen und einfacher machen, einen sicheren Umgang mit schwierigen Themen zu finden.
Faustregel: Je problematischer die Inhalte, umso dringender empfiehlt es sich, Safety Tools zu verwenden.
Warum Safety Tools verwenden?
Oft haben Spieler Schwierigkeiten, sich zu melden, wenn sie sich unwohl fühlen, weil sie zBsp. nicht stören wollen, Angst haben, dass andere auf sie herabschauen, es ihnen peinlich ist, sie sich schämen oder sie aufgrund der durch die Szene geweckten Emotionen in einem kurzen Schockzustand stehen und schlichtweg nicht in der Lage sind, jemanden zu unterbrechen (Deer-in-Headlights-Phänomen). Die Verwendung von Safety Tools macht es leichter, im Zweifelsfall zu intervenieren oder problematische bzw. traumatische Inhalte bereits im Vorfeld auszuschließen.
Beispiel:
Ein Spielerin in deiner Gruppe leidet an schwerer Arachnophobie. Wenn du schließlich das riesige Spinnenmonster beschreibst, kann das mehr als nur unangenehm für sie werden.
oder
Jemand aus deiner Gruppe ist vor kurzem Vater oder Mutter geworden. Wenn im Spiel dann Kinder zu schaden kommen, kann das für die Person nur schwer bis gar nicht zu ertragen sein, selbst wenn ein ähnliches Szenario vorher für die Person kein Problem war. Persönliche Grenzen können sich mit der Zeit verändern.
In deiner Gruppe Safety Tools zu verwenden, bedeutet nicht, dass sie auch unbedingt zum Einsatz kommen müssen. Es sendet aber vor allem das Signal an alle Beteiligten, dass im Zweifelsfall Rücksicht genommen wird und ein echtes Interesse da ist, dass alle sich wohlfühlen. Das schafft viel Vertrauen und Sicherheit.
Vor dem Spiel
Oft hilft eine Session 0, um Erwartungen, Stimmung oder beabsichtigte Thematiken zu kommunizieren. Spielleiter haben häufig eine gute Vorstellung davon, was sie thematisieren möchten oder welche Atmosphäre sie bieten wollen, und das im Vorfeld mitzuteilen, hilft, die richtigen Leute für die angesteuerte Erfahrung zu finden.
Indem du entweder in deiner Ausschreibung oder im Rahmen einer Session 0 ausdrücklich kommunizierst, ob du bestimmte Themen ins Spiel aufnehmen willst, stellst du sicher, dass du und deine Spieler rechtzeitig wissen, worauf man sich einlässt. Das hilft, auf beiden Seiten böse Überraschungen zu vermeiden.
Ratings
Zur schnellen Einordnung von geplanten oder beabsichtigten Inhalte kannst du bekannte Film- oder Spieleratings verwenden. Beispiele dafür sind FSK 12, 16, 18 bzw PG13 und R.
Lines and Veils
Tabuthemen oder persönliche Grenzen werden im Vorfeld besprochen und bspw. in einer Liste mit den zwei Kategorien gesammelt. Dieses Tool ist dazu da, um bekannte Grenzen zu kommunizieren, als auch in der Kampagne mögliche problematische Inhalte weiter einzugrenzen.
Lines sind Grenzen, die nicht übertreten werden, das bedeutet, dass diese Inhalte nicht Teil des Spiels und der Spielwelt sind und niemals auftauchen werden. Es gibt diese Themen in der bespielten Welt einfach nicht.
Veils sind Inhalte, bei denen es okay ist, wenn sie vorkommen, aber nicht explizit beschrieben werden sollen, die Kamera vorher wegblendet (cut to black) oder der Vorhang des Schweigens über das Geschehen fällt.
Lines und Veils können im Verlauf einer Kampagne angepasst werden, wenn das Bedürfnis danach besteht.
Wichtig: L&V sind nicht dazu da, jede mögliche Problematik aufzuschreiben – das ist schlichtweg nicht möglich – und es bedeutet auch nicht, dass nicht aufgeschriebene Inhalte automatisch für alle in Ordnung sind. Sprich im Zweifelsfall im Vorfeld mit deiner Gruppe.
Wenn über Lines und Veils gesprochen wird, dann vertrauen wir uns gegenseitig unsere Grenzen an. Das hat viel mit Vertrauen und Verletzlichkeit zu tun und erfordert in diesem Moment viel Empathie. Bitte diskutiere nicht mit jemandem darüber, seine oder ihre Grenzen zu verschieben und gib der Person nicht die Schuld für ihre persönlichen Grenzen. Als SL solltest du unbedingt sofort einschreiten, wenn du so etwas mitbekommst.
Umsetzung: Du kannst bei vielen virtuellen Spieltischen (Roll20, FoundryVTT, etc) Handouts anlegen, die für alle jederzeit sichtbar und abrufbar sind. Im Rahmen einer Session 0 sprichst du das Thema an, erläuterst, was man unter L&V versteht. Anschließend können Spieler sich direkt melden oder dir ihre Grenzen flüstern, wenn sie nicht offen darüber sprechen möchten und du trägst für sie die genannten Themen ein. Beides ist okay. Schließlich dankst du allen für ihr Vertrauen und betonst, dass diese Liste nicht fest ist und bei Bedarf Dinge hinzugefügt oder runtergenommen werden können, wenn sich Grenzen z.B. ändern.
Die Digitale RPG Einverständnis-Checkliste
Ein nützliches Tool für Cons, um schnell im Vorfeld einen Haufen Themen abzudecken und eine kleine Einschätzung der Mitspielerinnen und Mitspieler zu bekommen.
Kann auch gut genutzt werden, um zu überprüfen, ob alle Beteiligten bei einer bestimmten Kampagne auf einer Wellenlänge sind, was Ekelzeugs, Gewaltdarstellung oder Romantik, etc angeht.
Die Liste ist ein Google-Formular und funktioniert nach dem klassischen Ampelprinzip.
Zur Verwendung eine eigene Kopie anfertigen, indem Du oben auf die drei Punkte klickst und dann auf „Kopie erstellen“.
Die Liste stammt aus „Consent in Gaming“ und ist im Rahmen der 15-Jahre-Drachenzwinge-Feier von mir ins Deutsche übersetzt und an einigen Stellen erweitert worden.
Zur Liste geht es hier.
Im Spiel
X-Card
Die X-Card wird im Spiel gezogen, wenn sich jemand unwohl fühlt oder das Gefühl hat, die Szene geht in eine Richtung, mit der er oder sie absolut nicht einverstanden ist, weil die behandelten Inhalte den Spaß dauerhaft schädigen könnten, z.B. weil sie eine persönliche Grenze übertreten, die einem in diesem Moment erst bewusst wird. Manche verwenden die X-Card daher als Notbremse, aber oft kann man schon vorher erahnen, wohin die Reise geht und so ein „Stop“-Signal senden.
Wird die X-Card gezogen, kann die Gruppe gemeinsam entscheiden, ob zurück gespult wird, Inhalte oder Szenen übersprungen werden oder gar nicht vorkommen sollen. Je nach Situation kann es auch hilfreich sein, eine kurze Pause zu machen.
Umsetzung: Die X-Card kann beispielsweise durch das einfache Senden eines „X“ in den Spielchat erfolgen oder in dem man sagt „Ich möchte das x-en.“
Open Door
Die Open Door ist, vereinfacht gesprochen, die Zusage, dass jeder jederzeit das Spiel verlassen oder eine Pause machen kann und dafür nicht verurteilt wird oder man es der Person übel nimmt.
Diese Technik eignet sich besonders bei One- und Fewshots, kann aber auch bei Kampagnen zum Einsatz kommen.
Umsetzung:
Erläutere das Prinzip zu Beginn eines Spielabends. Es kann sinnvoll sein, durch Nachrichten wie „kurz afk“ Intentionen klar zu machen, damit der Rest Bescheid weiß, ob Abwesenheit nur vorübergehend ist oder im Rahmen der Open Door die Runde verlassen wird. Das macht es dem Rest einfacher, das Spiel fortzusetzen.
Nach dem Spiel
Bleed
Manchmal können Emotionen von Charakter auf Spieler (oder umgekehrt) überschwappen. Das kann zum Beispiel im Rahmen eines Konflikts passieren, bei dem ein Streit zwischen Charakteren ins RL überschwappt, aber auch die intensive Rührung, wenn eine Szene sehr emotional ist und du beispielsweise die Traurigkeit deines Charakters fühlst, das dir eventuell dabei hilft, ihn besser darzustellen. Eine gute Darstellung des Phänomens gibt es hier.
Arten von Bleed
Bleed-In:
Wenn Gedanken, Gefühle, Beziehungen des Spielers/der Spielerin den Charakter beeinflussen
Bleed Out:
Das Gegenteil, also wenn Gedanken, Gefühle des Charakters ins RL fließen
Bleed Feedback Loop (Vor allem im Larp):
Wenn Schlafmangel, Hunger, etc kognitive Fähigkeiten so beeinträchtigen, dass Bleed-In und Bleed-Out in ständigem Wechsel stattfinden, weil der Verstand Schwierigkeiten hat, mit der Situation mitzuhalten.
Bleed bringt uns emotional durcheinander. Spielbeginn und -ende daher klar abzugrenzen und deutlich zu machen, hilft dabei, Orientierung zu bieten.
Bleed kann manchmal dazu führen, dass sich die Beziehungen innerhalb der Gruppe verschlechtern, daher ist es wichtig, dieses Phänomen entsprechend der Situation richtig aufzuarbeiten. Gleichzeitig kann Bleed aber auch dabei helfen, das Spiel für alle Beteiligten auf eine neue Ebene hieven.
Umsetzung:
Grundsätzlich gilt: Sprich mit den anderen Gruppenmitgliedern über das Spiel und deine/eure Emotionen. Das hilft allen, durch egal welche Art von Bleed hervorgerufenes Verhalten richtig einzuordnen.
Beispielsweise einem emotionalen Charaktertod kann das passieren, in dem die Gruppe sich Zeit nimmt, nach dem Spiel (auch in den Tagen danach) über die Szene oder die Ereignisse zu sprechen und so zu verarbeiten.
Bei Konflikten bietet sich an, das Spielende klar zu signalisieren und am besten über die SL vermittelte Konfliktgespräche zu führen.
Weitere Informationen zu Bleed findest Du auf der entsprechenden Folie des Vortrags zu 15 Jahren Drachenzwinge im Anhang.
Feedbackrunde
Die klassische Feedbackrunde, bei der alle gemeinsam konstruktive Kritik äußern können. Dabei werden gemeinsam Dinge hervorgestellt, die gut oder weniger gut funktioniert haben. Wichtig ist natürlich, Kritik so zu äußern, dass sie nicht als Herabwertung wahrgenommen werden. Hilfreich ist, Kritik mit konkreten Wünschen oder Vorschlägen zu paaren, wie man Dinge in Zukunft anders und besser machen könnte.
Auch regelmäßig der Spielleitung fürs Leiten zu danken, hilft dabei, deutlich zu machen, dass einem etwas an der Runde liegt.
Eine regelmäßige Feedbackrunde als Abschlussritual kann dabei helfen, alle nach intensivem Rollenspiel wieder ins RL zurückzuholen und so auch Bleed vorbeugen.
Stars and Wishes
Diese Technik eignet sich, um Feedbackrunden etwas zu strukturieren.
Sterne sind, wie damals in der Grundschule, für Dinge, die an diesem Spielabend besonders toll waren, sei es ein Kampf, eine Interaktion, das Handhaben von schwierigen Situationen durch die SL, das Vorbereiten einer Spieloberfläche, etc.
Wünsche sind Dinge, die man sich für die Zukunft (bzw. die nächste Session) wünscht. Dabei kann es sich um eine konkrete Interaktion zwischen zwei Charakteren handeln, evtl. Storymomente oder -entwicklungen, aber auch alles andere, was das Spiel verbessern könnte, wie das Nachjustieren bei bestimmten Regeln oder Werten.
Umsetzung:
Jeder äußert am Ende des Spielabends einen Stern und einen Wunsch. Das erlaubt es, Feedback in einem positiven und strukturierten Rahmen zu äußern und hilft besonders dann, wenn Kritik sonst oft negativ wahrgenommen oder geäußert wird.
Die Verwendung von Safety Tools garantiert natürlich nicht, dass nicht doch einmal Szenen passieren können, bei denen sich jemand unwohl fühlt. Aber dann bist du für den Fall zumindest vorbereitet und hast für dich selbst und alle anderen am Tisch Möglichkeiten, mit so einer Situation richtig umzugehen.
Auch sind Safety Tools selbstverständlich keine Ausnahme von den Play Safe Regeln – Play Safe betrifft Grenzüberschreitungen und Angriffe auf Spielerebene, Safety Tools setzen sich mit (oft unbeabsichtigten) Grenzüberschreitungen im Rahmen der Fiktion auseinander.
Meine persönliche Empfehlung ist, pro Spielabschnitt jeweils eine Option auszuwählen und auch gerne mal auszuprobieren, was zu dir, deinem Spielstil und deiner Gruppe passt.
Persönlich nutze ich L&V mit einer Session 0 und kommuniziere oft auch schon konkrete Erwartungen im Vorfeld über von mir ausgeschriebenen Angebote. Im Spiel verwende ich dann die X-Card, wobei diese in meinen Runden noch nie zum Einsatz kam.
Ich habe sie aber gerne dabei und mir ist von Leuten, mit denen ich spiele, rückgemeldet worden, dass sie sich mit der Gewissheit, im Zweifelsfall eine Methode zu haben, wie sie auf sich oder ein Problem aufmerksam machen können, deutlich wohler fühlen und es ihnen Sicherheit gibt, selbst wenn sie nicht glauben, dass sie sie brauchen werden.
Ich hoffe, dass einige der oben beschriebenen Techniken und Methoden hilfreich waren oder ich zumindest etwas vermitteln konnte, was Safety Tools sind, sowie warum und wie man sie verwenden sollte.
Quellen und weiterführende Links (alle englisch):
Das TTRPG Safety Toolkit
Lines and Veiles
X-Card von John Stavropoulos
Open Door und weitere Techniken
Stars und Wishes von Lu Quade
Beitrag zu „Bleed“ auf nordiclarp.org