2010? Das bin ja ich... also nicht nur, natürlich, aber auch...
Gut, ich gebe zu, ich habe die Aufforderung schon vor einer Weile gelesen und mich angesprochen gefühlt, aber ich habe den Text aus Zeitmangel vor mir hergeschoben. Jetzt aber will ich mal versuchen, all den Dingen Struktur zu geben, die ich auf der Drachenzwinge erlebt habe. Es könnte ein längerer Text werden - sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.
Wie war das nochmal? Anfang 2010 wohnte ich in Dänemark und hatte nach einem vergeblichen Versuch, den Dänen Midgard beizubringen, verschiedene Warhammer-Gruppen unsicher gemacht. Dann hatte ich in einem Anflug von Größenwahn versucht, meine Mitspieler zu Myranor zu bekehren, und irgendwie muss ich dabei über das Projekt Drachenzwinge gestolpert sein.
Online Rollenspiel betreiben?
Was für eine blöde Idee. Wobei... endlich mal Leute, mit denen ich Deutsch reden kann... endlich mal Leute, die die gleichen Rollenspiele kennen... endlich könnte man die abendlichen ÖPNV-Reisen zur Tischrunde einsparen und wieder vor Mitternacht daheim sein... endlich wäre ich in der Nähe, wenn mein kleiner Sohn weinend aufwacht (was ziemlich oft vorkam)... Also eigentlich doch gar keine so blöde Idee. Mal ausprobieren.
Nun war ich zwar auch damals schon ein vergleichsweise alter Sack, aber ich schaffte es doch (nicht zuletzt dank tatkräftiger Hilfe von Iona und Thogrim, die meinen ersten One-Shots leiteten), mich in den ganzen
neumodischen Technikkrams einzuarbeiten. Ich legte mir sogar ein ICQ-Konto an, bekam das erste Headset meines Lebens und lernte zwei Dinge: (1) meine Soundkarte konnte nur entweder Soundeingang oder Soundausgang, aber nicht beides gleichzeitig, und (2) ein billiges Headset ist nicht viel besser als gar kein Headset. Was einige Hardwareanschaffungen nach sich zog, aber danach lief es.
Zwar hatte ich zu meiner großen Unzufriedenheit nach einer vollen Woche Suchens noch keine Gruppe
, und die erste Gruppe, die mich aufnehmen wollte, habe ich gleich nach zwei Sitzungen wieder verlassen. Wieder was gelernt: Es gibt viel größere Unterschiede in Sachen Spielstil, als ich bis dahin geahnt hatte.
Meine erste "echte" Gruppe wurde Narrenspiels "Donner und Sturm". Auch hier gab es fast sofort wieder Ärger mit einem Mitspieler, und es ist wohl einzig dem Engagement Narrenspiels zu verdanken, dass ich die Drachenzwinge damals nicht wieder verlassen habe. Zwar wurde auch "Donner und Sturm" am Ende nicht meine rollenspielerische Heimat, aber ich hatte endlich kapiert, welche Möglichkeiten sich hier auftaten.
Die nächsten anderthalb Jahre beschreibe ich in der Rückblende normalerweise mit "
Kind im Süßigkeitenladen". Es gab SO viele coole Gruppen und Ideen, dass ich mich gar nicht entscheiden konnte und meist 3 oder 4 gleichzeitig laufen hatte. Was dann regelmäßig mit meinem RL kollidierte und mich immer wieder zum Zurückrudern zwang. Und das wiederum hatte zur Folge, dass einige Mitspieler nicht mehr gut auf mich zu sprechen waren, was mir heute noch aufrichtig leidtut.
Unter den Gruppen dieser Zeit ragen für mich drei heraus:
- Das bereits genannte "Donner und Sturm". Nicht nur weil es meine erste längerlaufende DZ-Runde war, sondern auch wegen der tollen Spielleiterin. Auch wenn Narrenspiel es vielleicht nicht für möglich hält - ich habe es davor und danach bei keinem Spielleiter so lange ausgehalten wie bei dir!
- Die "Wunder des Südens", mein erstes und mit über 90 Sitzungen auch längstes Projekt als Spielleiter auf der Drachenzwinge. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass derart lange Runden überhaupt möglich sind. Dass sie unvollendet blieb, war nicht zu ändern, tut mir aber bis heute weh.
- Die gerade an anderer Stelle gefeierten "Wir wa(h)ren Helden" als die emotionalste und immersivste Rollenspielgruppe, in der ich je gespielt habe.
Allein in diesen drei Gruppen brachte ich es auf rund 170 Spielsitzungen, und da sind all die anderen kürzeren Projekte (Die Eiskönigin, Unter Haien, Feentanz und Koboldspiel, Aventurische Abenteurer, Facettenreich, Ein Spiel um Macht und Liebe,...) und One-Shots noch gar nicht mitgezählt. Und gerade aus diesen drei Gruppen resultierten nicht nur viele großartige Erinnerungen, sondern auch echte RL-Freundschaften, von denen einige bis heute gehalten haben.
Die
Krise kam im Frühjahr / Sommer 2012. DSA4 hing mir immer mehr zum Hals heraus, und auch im zwischenmenschlichen Bereich machte die DZ ihrem Spitznamen als Dramazwinge zunehmend Ehre. Es wurden Dinge gesagt, die nicht mehr zurückgenommen werden konnten, Freundschaften gingen zu Bruch darüber. Damit war eine Schwelle überschritten: Das war es mir definitiv nicht wert. Mein geliebtes Hobby war zur Quelle von Frust und Verletzungen geworden. Ich zog mich aus allen noch verbliebenen Gruppen zurück und verordnete mir einige Monate völliger DZ-Abstinenz, um mir erst einmal in Ruhe Gedanken zu machen. Dass ich dazu meine Frau bitten musste, mein Passwort zu ändern, sagt eine Menge darüber aus, welchen Stellenwert die Drachenzwinge für mich bekommen hatte.
Ende 2012 (Gott, ist das echt schon vier Jahre her?) wagte ich den
Neustart mit "Halimatons Geistwelten", einer Reihe von Few-Shots, mit denen ich verschiedene Systeme und Spielstile ausprobieren wollte, um herauszufinden, was ich eigentlich wirklich will. Nach einem Jahr Herumexperimentieren entstand daraus doch wieder eine feste Runde: Die Gruppe "Erbe der Titanen" war eine reine Sandbox mit der klaren Vorgabe, (1) sich komplett nach den Vorgeschichten und Handlungen der Spieler auszurichten und (2) eine größere Kampagne zu einem befriedigenden Ende zu bringen. Gerade ist diese Kampagne nach drei Jahren Spielzeit und über 70 Sitzungen zu Ende gegangen und hat ihr Ziel tatsächlich erreicht (und was mich vielleicht überrascht: ganz ohne DZ-Drama unterwegs). Ich habe mir damit einen alten Traum erfüllen dürfen, wofür ich sehr dankbar (und auch ein klein bisschen stolz) bin.
Rückblickend hat die Drachenzwinge für viele Jahre eine ziemlich große Rolle für mich gespielt. Ich habe hier viele tolle Menschen kennengelernt, mit denen ich mich teilweise heute noch treffe, obwohl wir schon seit Jahren keine gemeinsamen Runden mehr haben. Ich durfte fantastische Geschichten als Spieler und Spielleiter erleben, Dutzende Systeme ausprobieren und habe in über 300 Online-Sitzungen viel über meine eigenen Rollenspielvorlieben gelernt. Ich wurde zum Drachenritter geschlagen, war mehrmals auf der DZ-Con, habe Gruppen aus der Taufe gehoben die auch ohne mich heute noch existieren. Ich habe die Entwicklung zweier Rulesets für Fantasy Grounds (Space:1889 und Splittermond) geleitet. Sogar daran, dass ich inzwischen als Autor ein paar bescheidene offiziellen Beiträge für Splittermond schreiben durfte, ist letztlich die Drachenzwinge schuld.
Was die
Zukunft bringt, ist natürlich noch offen. Ich wohne schon seit vielen Jahren wieder in Deutschland und spiele hier mittlerweile auch wieder am Spieltisch - ab Anfang 2017 wohl sogar in zwei Gruppen. Der kleine Junge von damals geht inzwischen in die 3. Klasse und schläft natürlich längst durch. Meine Tischspieler sind für fast alle Experimente zu haben, die ich ihnen zumute. Und ich muss auch zugeben, dass ich die lockere Chips-Essen-und-dumme-Witze-reißen-Atmosphäre des Spieltischs im Moment sehr genieße. Daher vermute ich, dass man mich in nächster Zeit nicht mehr so häufig auf der Drachenzwinge antreffen wird wie früher. Aber ganz verschwinden werde ich sicher nicht, dafür sind mir die DZ und viele Spieler hier zu sehr ans Herz gewachsen.