Ja ist es zu glauben? Gestern haben wir mit der Gruppe "Erbe der Titanen" unsere 50. Sitzung gespielt!
Zeit, einen Blick zurück zu werfen - für uns, aber falls es interessiert auch für alle anderen...
Schuld an allem ist
CertusRaven, der mit dieser Gruppe sonst eigentlich gar nichts zu tun hat. Schuld deshalb, weil er im Herbst 2013 eine neue Frostzone-Gruppe ausgerufen hat mit sehr klaren Vorstellungen. Er versprach seinen Spielern, die Kampagne ganz auf ihre Pläne, Handlungen und Vorgeschichten abzustellen (nix Kaufabenteuer oder Railroading) und nach Möglichkeit auch zu Ende zu bringen. Das hat mich irgendwie getroffen, denn tatsächlich war das, was er das schrieb, für mich der ultimative Traum dessen, warum ich seit über 30 Jahren Rollenspiele spiele. Hat nur leider irgendwie nie geklappt. Weder das mit den Handlungen der Spieler noch das mit dem "Kampagne zum Abschluss bringen".
Nun bin ich ja der Typ, der über alles immer gleich reden muss; in dem Fall mit den Unglücklichen, die sich zu dem Zeitpunkt gerade in meiner Poolgruppe "Halimatons Geistwelten" herumtrieben. Ich schwärmte also so vor mich hin, und plötzlich stand einer nach dem anderen auf und sagte: "Sowas würde ich auch total gerne mal machen". Naja, und so nahm binnen weniger Tage der Plan Gestalt an, sich mal die ultimativ offene Kampagne zu geben.
Wir haben dann ausgiebig gemeinsam (!) diskutiert, was wir eigentlich spielen wollen. Ich habe eine Reihe von Settings vorgeschlagen, und am Ende sind wir bei
Myranor hängen geblieben. Dabei war von vornherein klar, dass ich mit DSA4 ein für alle Mal fertig war und bin, wir brauchten also ein alternatives Regelwerk. Nach etwas Hin- und Herdiskutiererei fiel die Wahl auf
Savage Worlds. Außerdem entschieden wir, dass unsere SC als Sklaven in einer Arena starten und somit ganz unten anfangen sollten. Die groben Rollen wurden verteilt, und dann begann die eigentliche Arbeit.
Denn damit eine Kampagne auf die Ziele und Vorgeschichte der SC abgestellt werden kann, müssen diese natürlich erstmal Ziele und Vorgeschichten kriegen. Also wurden teilweise ziemlich lange Vorgeschichten geschrieben, die so voller Plothooks waren, dass sie vermutlich auch für drei Kampagnen reichen würden. Da gab es alte Freunde und Feinde, ungelöse Geheimnisse, Träume, Wünsche und Ängste. Ein Schlaraffenland für die Spielvorbereitung. Dazu natürlich noch die ganzen Inspirationen aus einem halben Regalmeter Myranor-Publikationen, und wir waren startklar. Nach einer "Adventskalender" genannten Sammlung mit 24 Teaser-Texten stieg im Januar 2014 die erste Spielsitzung.
Tja, und seither haben wir es auf immerhin 50 Spielsitzungen und mehr als 2 Jahre Spielzeit gebracht. Wir sind mit einer Ausnahme noch immer in der Originalbesetzung unterwegs und haben sogar ein halbes Jahr Babypause problemlos weggesteckt. Wir haben das Regelsystem von Savage Worlds auf
Splittermond umgestellt. Wir hatten - und das ist für mich ein völliges Novum - kein einziges echtes DZ-Drama in der ganzen Zeit. Und wir haben immer noch Bock auf die Kampagne und sind wilder denn je entschlossen, sie bis zum Ende 2016 zum (hoffentlich krönenden) Abschluss zu bringen.
Aus Spielleitersicht bedeutete die Kampagne für mich übrigens eine gewisse Umstellung. Wie bereitet man Spielsitzungen vor, bei denen man keine Ahnung hat, was die SC 5 Minuten nach Spielbeginn machen? Natürlich ganz anders als die klassischen linearen Abenteuer, die die meisten von uns gewöhnt sind. Heute arbeite ich mit einer Mischung aus Sandbox-Infos (aktuell aktive NSCs und ihre Pläne, relevante Örtlichkeiten), Nachschlagewerken (Namenslisten, Kreaturen, Weltenbände...) und linearen Elementen (Dinge, die geschehen, wenn die SC nicht selbst aktiv werden). Das klappt aber auch nur deshalb gut, weil eine Sitzung nur knapp 3 Stunden dauert. Weiter kann ich nicht in die Zukunft schauen - bei längeren Sitzungen wäre ab einem bestimmten Punkt alles nur noch Improvisation.
Interessant ist auch, dass der Plot sich wirklich sehr anders entwickelt hat, als ich das vermutet hätte. Ich sah unsere Gruppe vor meinem geistigen Auge auf der Reise nach Süden, träumte von Abenteuern in der dreckigen Sword&Sorcery-Stadt Daranel oder gar in den dampfenden Dschungeln von Makshapuram. Stattdessen wandte sich die Gruppe fast sofort nach Westen, besuchte die Ruinenstadt Sidor Coroman und verschwand nach längerer Reise für mehrere Oktale im Löwenkopfmassiv, von dem ich zu Kampagnenbeginn nicht mal hätte sagen können, wo es liegt. Als Konsequenz werden wir IG womöglich nie erfahren, warum ich die Gruppe einst "Erbe der Titanen" genannt habe, aber das macht überhaupt nichts. Denn Plot ist allein, was die Gruppe daraus macht.
Anfangs habe ich die SC übrigens plotbedingt noch ziemlich stark gegängelt - wenn man so viele Feinde in seine Vorgeschichten eingebaut hat wie meine Spieler, darf man sich nicht wundern, wenn die einen ein bisschen verfolgen
. Aber inzwischen haben sie ihre Jäger abgehängt oder ausgeschaltet, sind zu einem Sack voll Geld gekommen und haben so manches erlebt. Es wurde geliebt und gestorben, gefeiert und getrauert. Es gab Dungeons, Stadt- und Reiseabenteuer und natürlich jede Menge NSCs, an die wir uns im Guten wie im Schlechten noch lange erinnern werden (Kharr, RaoCha, Yamophar, Azamír, Nicos, der "Tighrir", Tarach, Ashnafaar, Earythor H'ya Quoran, Rhosharr, Shyurrah, Wudashu, Estara, Galinea Savata...) Unsere Minotaurin ist verliebt in und schwanger von einem NSC, der sich während der Kampagne vom gewöhnlichen Mook zum Charakterkopf entwickelt hat. Vor allen Dingen aber haben die SC im Laufe der Kampagne ihre Freiheit gewonnen.
Freiheit ist übrigens etwas, was wir alle auch OOC erst lernen mussten. Am Anfang wartete die Gruppe oft darauf, was als nächstes passieren würde, statt selbst die Initiative zu ergreifen und das Unerwartete zu tun. Inzwischen aber werden immer mehr eigene Pläne geschmiedet, und gerade ist die Gruppe nach Sidor Valantis zurückgekehrt - den Ort, wo alles begann und wo nicht nur noch manche Rechnung offen ist, sondern auch noch so manches Geheimnis ungelöst. Erst jetzt kommen die komplexen Vorgeschichten und auch die Beziehungsgeflechte, die sich während der Kampagne entwickelt haben, so richtig zur Geltung. Wir sind gespannt, wie es weitergeht!