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Autor Thema: [Wilderness of Mirrors] Wie wir zufällig Erich Honecker beseitigten  (Gelesen 11874 mal)

Duck

  • Der Denunziant
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  • 11. März 2017, 21:46:58

Letzten Mittwoch haben Eagle, Galago, Myx, Sosolid und ich uns getroffen, um Wilderness of Mirrors auszuprobieren, ein minimalistisches Spiel über Geheimagenten von John Wick. Hier meine Eindrücke vom Spielabend:

Der Auftrag

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*klick krrrrk*

Guten Morgen, Secret-Ops-Team Bravo. Vor 48 Stunden äußerte der sowjetische Kernwaffenspezialist Dr. Boris Vetrov gegenüber einem unserer Agenten die Absicht, überlaufen zu wollen. Als führender Mitarbeiter des staatlichen Atomprogramms verfügt er über hochbrisante Informationen, steht aber auch unter strengster Bewachung. Extrahieren Sie Dr. Vetrov und bringen Sie ihn nach Westberlin, ohne einen internationalen Zwischenfall auszulösen. In Bezug auf Vorgehen und Ausrüstung haben Sie wie immer freie Hand. Berücksichtigen Sie, dass im Falle Ihres Todes oder Ihrer Gefangennahme Präsident Reagan jegliche Kenntnis Ihres Auftrags abstreiten wird. Wie üblich wird sich diese Nachricht in wenigen Augenblicken selbst zerstören...

*whiiiirrrr klick*

Mehr als diesen kurzen, in 10 Minuten erdachten Abriss hatte ich nicht vorbereitet. Alles Weitere entstand während des Spiels.
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Die Agenten

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  • Joe "The Cool" Bright (Eagle): Junger aufstrebender Agent mit goldener Zunge
  • Gerald "The Hornet" Butler (Galago): Erfahrener lautloser Killer und Teamleiter; seit einem Einsatz in Südamerika nicht mehr derselbe wie zuvor
  • Nikolas "Lucky" Norton (Myx): Experte für allerlei technische Geräte
  • Jack "The Breaker" Curtis (Sosolid): Hünenhafter Nahkampfexperte mit undurchsichtiger Vergangenheit
Zeit für Charaktererschaffung und Regeleinweisung: ca. 40 Minuten

In Wilderness of Mirrors besteht jeder SC nur aus fünf Werten (Fixer, Grifter, Gunman, Heavy, Shade), die jeweils von 1-5 reichen. Alles andere ist für die vorgesehene Art des Spiels auch nicht relevant. Trotz dieser minimalistischen Regeln hat die Vorbereitung mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich gedacht hätte. Vielleicht wäre es sinnvoller, die Regeln erst nach und nach im Spiel zu erklären. Auch für das Heraussuchen passender Avatare ist einiges an Zeit draufgegangen.
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Der Plan

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In Wilderness of Mirrors bringen die Spieler in der Planungsphase die Details der Mission ins Spiel. Für jede Komplikation, die sich dabei ergibt, erhalten sie einen Missionpunkt, der später genutzt werden kann, um Bonuswürfel zu erhalten.
  • Dr. Vetrov hält sich die meiste Zeit in seinem unterirdischen Geheimlabor südlich von Moskau auf.
  • Ungünstigerweise befindet sich über dem Labor das Offizierskasino einer sowjetischen Militärbasis. In den Keller gelangt man nur mit einem versteckten Lastenaufzug.
  • Die Anlage ist mit modernster Technik gesichert. Unter anderem wimmelt es nur so vor Überwachungskameras.
  • Zu allem Überfluss sind aktuell in der Militärbasis Delegationen verschiedener Staaten des Warschauer Pakts anwesend, um der Demonstration einer neuartigen MiG beizuwohnen. Aus diesem Grund wurde die Zahl der Sicherheitskräfte nochmals erhöht.
  • Die Militärbasis verfügt über ein großes Treibstofflager.
  • An der Nordseite befindet sich ein versteckter Zugang zur Basis über ein unbewachtes Abflussrohr.
  • Zivile Angestellte werden zum Schichtwechsel mit einem Shuttlebus auf das Gelände gebracht.
  • Es ist Anfang März, der russische Winter hat das Wetter nach wie vor fest im Griff und für die Nacht ist ein heftiger Schneesturm angekündigt.
  • Um zwei Uhr nachts wird eine russische Spezialeinheit auf dem Weg nach Afghanistan in der Militärbasis zwischenlanden. Bis dahin sollte die Operation im Idealfall abgeschlossen sein.

Insgesamt haben die Spieler 13 Missionspunkte in dieser Phase angesammelt.

Also wurde folgender Plan zusammengestellt:
  • Getarnt als Küchenpersonal mit einem Shuttlebus auf das Gelände gelangen
  • Personal und Soldaten im Offizierskasino sowie eventuell problematische Gäste durch mit Methanol versetzten Wodka außer Gefecht setzen.
  • In den Überwachungsraum einbrechen und sich Zugang zum Lastenaufzug verschaffen.
  • Im Untergeschoss ins Labor eindringen
  • Dr. Vetrov mitnehmen (ggf. mithilfe von Chloroform)
  • Eine Leiche im Labor platzieren und dieses mit einer gezielten Sprengung zerstören, um so den Unfalltod des Wissenschaftlers vorzutäuschen
  • Durch das Abflussrohr aus der Militärbasis entkommen
  • Mit einem bereitstehenden Wagen nach Süden bis zum Schwarzen Meer fahren
  • Dort an Bord eines amerikanischen U-Boots gehen und unauffällig verschwinden

Zeit für Missionsplanung: ca. 45 Minuten

Es ist erstaunlich, wie einfach man in der Planungsphase mit minimaler Vorbereitung ein spannendes Szenario ausarbeiten kann, und ich bin froh, dass meine Spieler bereit waren, sich darauf einzulassen. Nach den offiziellen Regeln muss für jedes Detail auch erzählt werden, wie die Agenten an die entsprechende Information gekommen sind (Satellitenbilder, Informaten, Abhören des Funkverkehrs, usw.). Das haben wir nicht so eng genommen, weil sich einige Spieler etwas schwer damit getan haben.

Außerdem haben wir die Planung zum größten Teil OT durchgesprochen. Ich kann mir im Nachhinein vorstellen, dass diese Phase noch mehr Spaß macht, wenn man die Agenten auch untereinander diskutieren lässt, welcher Weg am besten geeignet wäre. Es sollte natürlich zeitlich nicht ausarten, denn die Durchführung steht ja noch bevor.

Insgesamt glaube ich, man kann (vielleicht sogar: muss) sich in der Planungsphase noch deutlich tiefer "in die Scheiße reiten" als wir es getan haben. Die Charaktere sind kompetent genug, um fast jedes Hindernis zu überwinden, und so habe ich während des Spiels einige weitere Komplikationen eingebracht, um die Spannung aufrecht zu erhalten.

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Die Durchführung

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Es ist ein kalter Märztag südlich von Moskau. Während sich die letzten Sonnenstrahlen einen Weg durch dichte Wälder bahnen, besteigt unser vierköpfiges Agententeam verkleidet als Küchenpersonal den Shuttlebus zur Militärbasis. Schon kurze Zeit später finden sie sich auf dem Gelände wieder, werden aber auf dem Weg zum Offizierskasino vom Küchenchef abgefangen, der sie zu einer behelfsmäßig errichteten Feldküche am westlichen Ende der Basis bringt, wo schon zahlreiche hungrige Soldaten warten. Um keine Zeit verlieren, entscheidet man sich, den Küchenchef mit dem manipulierten Wodka außer Gefecht zu setzen, während Cool sich heimlich auf den Weg zum Offizierskasino macht. Die Soldaten erhalten ebenfalls etwas von dem Wodka, damit sie später bei der Flucht keine Probleme bereiten. Leider sind es so viele, dass nun kein Wodka mehr für die Leute im Offizierskasino übrig ist. Aber wenigstens steht die Gruppe schon nach kurzer Zeit am Kücheneingang des Offizierskasions, den Cool ihnen von innen öffnet.

Im Offizierskasino angekommen macht sich die Gruppe sofort auf dem Weg zum Überwachungsraum. Breaker schickt den dort stationierten Soldaten mit einem gezielten Handkantenschlag ins Reich der Träume und Lucky versucht, mit Hilfe der Kameras den richtigen Lastenaufzug zu finden. Das gelingt ihm auch, aber in der Sicherheitszentrale der Basis registriert man auffällige Kamerabewegungen und sendet einen Trupp Soldaten zur Untersuchung der Angelegenheit aus.

Lucky und Hornet machen sich mit dem Aufzug auf den Weg in den Keller, während Cool und Breaker oben die Stellung halten. Unten angekommen finden sie am Ende eines Ganges eine ungewöhnlich schwer gesicherte Tür mit Ziffernblock. Dank Luckys technischer Fertigkeit ist auch dieses Hindernis schnell überwunden und die beiden Agenten finden sich tatsächlich im geheimen Labor wieder. Doch da wartet schon das nächste Problem: Dr. Vetrov hat seine achtjährige Enkelin Ivana dabei und will nur unter der Bedingung mitkommen, dass die Agenten auch für ihre Sicherheit garantieren.

Währenddessen ist oben die sechsköpfige Patrouille am Überwachungsraum angekommen. Breaker versucht, verkleidet in der Uniform des zuvor ausgeschalteten Wachmanns, die Soldaten abzuwimmeln, wird aber schnell enttarnt. Nur dank seiner überlegenen Nahkampffähigkeiten kann er den Trupp ausschalten, bevor die Gäste Wind von dem Zwischenfall bekommen. Gerade als er den letzten ausgeschalteten Soldaten verstecken will, kommt Erich Honecker höchstpersönlich mit einem Adjutanten um die Ecke. Beide Seiten sind zunächst gleichermaßen überrascht, doch einige Faustschläge später hat Breaker erneut die Oberhand gewonnen. Da der zu extrahierende Wissenschaftler ohnehin eine gewisse Ähnlichkeit mit Honecker besitzt, beschließt er, diesen in den Keller zu tragen und dort als vermeintliches Unfallopfer abzulegen.

Gesagt - getan. Honecker wird im Labor platziert, Lucky bringt den Sprengsatz samt Zeitzünder an und die Agenten ziehen sich mit Dr. Vetrov und dessen Enkelin in den Lastenaufzug zurück. Durch den Hintereingang verlassen sie das Offizierskasino, wobei nur Cools Redegewandtheit das Team vor der Enttarnung bewahrt, als sie zufällig einer KGB-Mitarbeiterin über den Weg laufen. Weiter geht es durch den inzwischen einsetzenden Schneesturm zur Nordseite des Komplexes. Dann der Schock: Direkt über dem für die Flucht vorgesehenen Kanaldeckel ist ein russischer Panzer liegengeblieben, samt zwei lautstark streitenden russischen Soldaten - und Luckys Uhr zeigt nur noch wenige Minuten bis zur Detonation. Jetzt muss es schnell gehen: Breaker eliminiert die Soldaten mit zwei gezielten Kopfschüssen. Hornet stellt Ivana, die bei diesem Anblick zu schreien anfängt, mit dem Chloroform ruhig und kann gerade so verhindern, dass Dr. Vetrov deswegen komplett ausrastet. Lucky bringt den Panzer wieder zum Laufen und räumt den Kanaldeckel. Ohne den Panzer vollständig abzubremsen, springt er aus der Luke. Der T34 bricht durch die Außenmauer und löst einen Großalarm in der Basis aus.

Doch da ist das Agententeam schon durch den Kanaldeckel verschwunden. Gerade als sie sich aus dem Abflussrohr gerettet haben, geht Luckys Sprengladung los und die Militärbasis verwandelt sich in einen riesigen Feuerball. Während Kampfhubschrauber aufsteigen, fährt ein Militär-LKW mit einem jungen Asiaten am Steuer vor, welcher den Agenten bedeutet, einzusteigen. Als der Doktor und Ivana aufgestiegen sind, springt Hornet ins Führerhaus und bedeutet dem Fahrer, Vollgas zu geben - er ist in Wahrheit im Auftrag des chinesischen Geheimdienstes unterwegs! Als Breaker den Verrat bemerkt, tötet er den LKW-Fahrer mit einem gezielten Schuss. Das Fahrzeug überschlägt sich, landet im Straßengraben, Dr. Vetrov bleibt bewusstlos mit einer Platzwunde am Kopf liegen. Zu allem Überfluss hat durch den Lärm einer der Hubschrauber den LKW und die Agenten entdeckt. Lucky schafft es gerade noch, das Mädchen zu schnappen und sich in den Wald abzusetzen, als der Hubschrauber das Feuer eröffnet und der LKW in einem Feuerball aufgeht.

Im Nachhinein merkte Sosolid (der an diesem Abend übrigens zum ersten Mal überhaupt ein Rollenspiel spielte) an, dass Breaker dem Team eigentlich nur zugewiesen worden war, um Honecker auszuschalten. (Hatte niemand von uns so geplant gehabt, fanden wir aber irgendwie passend.  ;D)

Zeit für Durchführung: ca. 2 Stunden

Die Resolutionsmechanik von Wilderness of Mirrors ist schnell erklärt und geht im Spiel flott von der Hand. Wenn der Ausgang einer Situation unklar ist, würfelt der Spieler des Agenten eine Anzahl von W6 entsprechend seinem Wert in der am besten passenden Rolle (z.B. Gunman). Mit Missionspunkten können Bonuswürfel gekauft werden. Anhand des Ergebnisses wird aber nicht der Ausgang der Aktion festgelegt, sondern das Erzählrecht verteilt: Bei einem sehr guten Wurf darf der Spieler den Ausgang der Aktion schildern, bei einem sehr schlechten Wurf ist der Spielleiter an der Reihe. Dazwischen darf jeweils eine der beiden Seiten erzählen, während die andere noch ein Detail anbringen darf (bei uns oft in der Form "Ja, aber…", "Nein, aber…").

Dank dieser Mechanik kann man meines Erachtens sehr viel Spiel in relativ kurzer Zeit unterbringen. Zwar mussten wir das Ende aus Zeitgründen abkürzen, aber wenn ich statt 3,5 Stunden insgesamt für die Runde 4-5 Stunden eingeplant hätte, wären wir wohl ohne Probleme fertig geworden.

Die Agenten sind allerdings in Wilderness of Mirrors wirklich sehr kompetent. In unserem Spiel konnte jeder häufig in seinen Spezialgebieten brillieren, wodurch ich als Spielleiter beim Ausgang von Aktionen nur gelegentlich mitreden durfte (das alleinige Erzählrecht habe ich nur ein einziges Mal erhalten, wenn ich mich recht erinnere). Eventuell hätte ich da auch freigiebiger mit meinen Setback Points umgehen müssen. Das sind Punkte, die der Spielleiter alle 20 Minuten Echtzeit erhält und mit denen er Würfe der Spieler herabstufen kann. Zum Ende des Spiels hatte ich nur die Hälfte meines Punktvorrats ausgegeben.

Für größere Unklarheit sorgte die Verräter-Mechanik: Ein Spieler, der sich gegen das Team stellt, kann im Spiel drei Bonus-Missionspunkte erhalten. Allerdings ist im Regelwerk nicht geklärt, was zu tun ist, wenn zwei Spieler gegeneinander handeln wollen. Wer würfelt, einer oder beide? Und geht das Erzählrecht bei einem schlechten Wurf auf den anderen Spieler über oder trotzdem auf die Spielleitung? Ich will nicht ausschließen, dass ich das Regelwerk an dieser Stelle missverstanden habe, aber uns fiel keine wirklich befriedigende Lösung ein.

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Das Fazit

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Wilderness of Mirrors ist ein schönes Spiel für Zwischendurch, um Over-the-Top-Geheimagenten-Geschichten zu erzählen. Es funktioniert nahezu ohne Vorbereitung und bildet das Genre sehr gut ab, erfordert aber auch viel Input und Eigeninitiative von den Spielern. An einigen Stellen (Schwellenwerte beim Würfeln, Verräter-Mechanik) merkt man, dass dem Spiel etwas Feinschliff fehlt, aber für einen Preis von ~3€ ist das verschmerzbar. Das innovativste Konzept ist meines Erachtens die Planungsphase. Eventuell werde ich diesen Ansatz in Zukunft mal in Verbindung mit Blades in the Dark oder Leverage ausprobieren.
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« Letzte Änderung: 12. März 2017, 23:19:08 von Duck »
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