Zur Beantwortung der Ausgangsfrage stellen sich mir zunächst drei andere Fragen: Was bedeutet Spielerautonomie? Was bezwecke ich als Spielleiter mit der Szene? Warum sperrt sich ein Spieler dagegen, dass sein Charakter eine schlechte Entscheidung trifft? Die gehe ich im Folgenden nacheinander durch, um dann zu erklären, warum ich die Frage, ob man soziale Skillproben gegen SC einsetzen sollte, nicht für entscheidend halte. Als Beispielszene verwende ich den Händler, der einem Charakter einen gefälschten magischen Ring aufschwatzen will.
Was bedeutet Spielerautonomie?
Grundsätzlich bedeutet Spielerautonomie, dass der Spieler die Kontrolle über die Darstellung seines Charakters hat. Dazugehörig aber nicht deckungsgleich ist die Charakterautonomie, also wie frei der Charakter in seinen Entscheidungen ist. Beim klassischen Railroading entscheidet der Spieler nur darüber, wie etwas geschieht, aber kaum darüber, was geschieht, die Charakterautonomie ist gering, bei der Sandbox hat er weitreichende Kontrolle über das Was, beim typischen dramatischen Spiel hat er einen dynamischen Plot, den er zwar beeinflussen von dem er sich aber auch nicht einfach lösen kann.
Ebenfalls Teil der Spielerautonomie ist, dass der Spieler den Charakter erschaffen hat und eine spezifische Vorstellung von ihm entwickelt, die er auch spielerisch darstellen möchte. Diese kann, muss aber nicht notwendigerweise deckungsgleich mit den Charakterwerten sein. Regelwerke sind unterschiedlich gut darin, die Vorstellungen eines Spielers in Spielwerte zu übersetzen, und es ist üblicherweise klüger, die Stärken eines Charakters, die auch seine spezifische Rolle in der Gruppe definieren, an erste Stelle zu setzen, anstatt zu versuchen, schwache Werte an Stellen zu vermeiden, an denen sie nicht in die Vorstellung vom Charakter passen. Letzteres lässt sich leichter überspielen als in Kauf zu nehmen, dass der Charakter in Situationen, in denen er brillieren soll, nicht vernünftig spielbar ist.
Der Spielleiter beeinflusst vor allem das Was, mit einer Grauzone bei dynamischen Plots, bei denen Spieler den Plot auf ihre jeweilige Weise mitgestalten. Das Wie ist vor allem Spielersache, soweit es den Charakter betrifft. Eine zufriedenstellende Antwort darauf, ob es in Ordnung ist, soziale Skillproben gegen SC einzusetzen, ergibt sich daraus allein noch nicht, es ist keine Kompetenzüberschreitung, wenn der SL entweder durch Anweisung oder das Interpretieren von Würfelergebnissen entscheidet, dass der SC den angebotenen Handel nicht als Schwindel erkennt (->Was).
Problematisch wird es hingegen, wenn der SL zusätzlich in das Wie eingreift. Das kann zum Beispiel dann passieren, wenn er den Händler als zwielichtig eingeführt hat, der SC das weiß und dann via Würfelprobe den Ring aufs Auge gedrückt bekommt. Wenn der Spieler seinen SC als leichtgläubigen Trottel spielt, wird er da gerne mitziehen. Wenn er einen Kämpfer spielt, der zwar nicht überdurchschnittlich intelligent aber auch nicht sonderlich vertrauensselig ist und bei fraglichem Händler schon dreimal nicht, wird er den Spielleiter fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Das Problem besteht hier aber nicht im Mittel der Würfelprobe, sondern darin, dass sie eingesetzt wurde, um den SC zu etwas zu bringen, das der Spieler nicht möchte und nicht im Einklang mit seinem Charakter steht.
Was bezwecke ich als SL mit der Szene?
Als Spielleiter muss ich mich stets fragen, was ich mit einer bestimmten Szene bezwecken möchte. Will ich dem Spieler mit dem Betrug "eins reinwürgen" oder steht der Betrug in einem größeren Zusammenhang? Ersteres ist ein Spielleiterfehler, egal welche Ausrede ich mir dafür auch überlege, z.B. Worldbuilding. Letzteres kann die Handlung vorantreiben. Der Kämpfer lässt sich den Ring verkaufen, aber nachdem er den Laden verlassen hat, kommen ihm Zweifel und er wendet sich an den Magier, mit dem er reist, womit der Spieler einen anderen SC und dessen Kompetenzen ins Spiel bringt und die Beziehung der Charaktere stärkt. Der Magier erkennt den Schwindel und die Gruppe beschließt, den Händler zur Rechenschaft zu ziehen, und während der Betrogene das Schlitzohr am Kragen hochgehoben und gegen die Wand gedrückt hat, macht er diesem klar, dass er in seiner Schuld steht, wenn er ihn dafür nicht anzeigt, eine Schuld, die der NSC später begleichen wird oder die andere Verwicklungen nach sich zieht.
Bringe ich in beide Varianten das Zufallselement ein, ändert sich daran nur wenig. Will ich den SC nur treten und er wendet es mit dem Würfel ab, geschieht wenig. Ist es zu seinem Schaden und das war's, wird das die Stimmung am Tisch eher abkühlen lassen, mit einem möglichen Rattenschwanz an negativen Konsequenzen. In Variante 2 entscheidet das Würfelergebnis eher über den Verlauf der weiteren Geschehnisse, aber der Spieler des SCs wird auch dann Spaß haben, wenn sein Charakter in der Lage über den Tisch gezogen wird, es sei denn ich mache den Setupfehler wie weiter oben beschrieben, und versuche den Charaktere gegen die Vorstellungen des Spielers zum Trottel zu machen.
Warum sperrt sich ein Spieler dagegen, dass sein Charakter eine schlechte Entscheidung trifft?
Zu unterscheiden sind externe und gruppeninterne Ursachen. An externen kann man nur wenig ändern. Wenn ein Spieler in einer Phase seines Lebens ist, in der er im Alltag ständig das Gefühl hat, der Depp vom Dienst zu sein, wird er durch eine solche Szene eher getriggert. Als Spielleiter werde ich dann einen Teufel tun und weiter in diese Richtung drücken, sondern den Spieler in Ruhe lassen. Wenn sich das auf Dauer nicht mit dem Gruppenkonzept verträgt, muss man daraus abseits des Tisches die Konsequenzen ziehen, spielerisch lässt sich das nicht lösen, ob man nun würfelt oder nicht.
Interne Ursachen sind z.B. mangelndes Vertrauen in den Spielleiter. Wenn ich meine Spieler wie oben beschrieben trete, werden sie entweder sauer oder aber sie spielen immer defensiver. Ich habe in diesem Zusammenhang von einem Spielleiterfehler gesprochen, selbst wenn man ihn als Worldbuilding verklärt, und das hat Gründe. Wenn ich durch die Händlerszene verdeutliche, dass nur ein entsprechend "geskillter" Charakter verhandeln sollte, werden die Spieler sich auch so verhalten, um weitere Niederlagen dieser Art zu vermeiden. Damit zerstöre ich die Spieldynamik der Gruppe, denn in künftigen Situationen dieser Art kriegen die nicht so fähigen Charaktere dann die Zähne nicht mehr auseinander. Wenn ich die Gruppe aber nur noch fordern kann, wenn ich ihren jeweiligen Spezialisten dazu an seine Grenzen bringe, kann in den jeweiligen Situation sonst auch keiner mehr handeln und das Setting wirkt zunehmend künstlicher und konstruierter und eine Interaktion innerhalb der Gruppe kommt kaum noch zustande.
Vertraut mir der Spieler, der seinen SC eine schlechte Entscheidung treffen lassen soll, hingegen, eröffnen sich Möglichkeiten. Wenn ich einen Spezialisten scheitern lasse, kann ich das als wesentlichen Bestandteil in den Plot einbauen und abseits davon platzt eine heikele Verhandlung z.B. durch Jähzorn oder Ungeduld des anwesenden Barbaren, dessen Spieler bewusst in Kauf nimmt, den Spezialisten ins Schwitzen zu bringen oder die Situation eskalieren zu lassen.
Auch hier lässt sich ein Zufallselement einbringen. Wenn der Spieler des Barbaren bereit ist, bei einem Scheitern die Situation angemessen eskalieren zu lassen, z.B. weil der Charakter entsprechend erfolgreich provoziert wurde, wird es funktionieren, auszuwürfeln, was geschieht. Ist der Spieler dazu nicht bereit, lasse ich die Würfel besser gleich ruhen.
Sollte man soziale Skillproben gegen SC einsetzen?
Der Würfelwurf ist ein Mittel zum Zweck, eine Möglichkeit, ein Zufallselement in eine Situation einzubringen, z.B. um darzustellen, dass die jeweilige Szene eben so oder so ausgehen kann. Ob er angemessen ist oder sein Ergebnis das Spiel positiv oder negativ beeinflusst, hängt weniger von der Methode selbst ab als von den Rahmenbedingungen ihres Einsatzes. In einer überflüssigen Szene, in der Scheitern nur bedeutet, dass der SC Ressourcen verliert, verändert auch das vermeintlich unparteiische Urteil eines Würfels nichts zum besseren. In einer Szene, in der auf der Metaebene das Scheitern mindestens genauso interessant ist wie der Erfolg, kann es Spannung erzeugen, die sich in beiden Fällen für das Spiel positiv auflösen lässt.
Wie sehr die Spieler den Würfelentscheid als Eingriff in ihre Autonomie begreifen, hängt unter anderem davon ab, wie tief der Spielleiter in die Charakterdarstellung eingreift und ob diese erzwungenden Handlungen mit den Vorstellungen des Spielers von seinem Charakter übereinstimmen oder ihnen widersprechen. Als Faustregel sollte man es einem Spieler überlassen, seinen Charakter in einer Situation zum Trottel zu machen, anstatt ihn dazu nötigen zu wollen. Scheitern kann ein SC in einer Situation auch, ohne dabei gleich das Gesicht zu verlieren.
Der Spieler hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass sein Charakter überhaupt nicht scheitert, sondern muss auch damit zurechtkommen, dass manche Versuche schiefgehen, ob durch einen Würfelwurf oder nicht. Als SL sollte man zugleich dafür Sorge tragen, dass insbesondere ein zufallsbedingtes Scheitern der Handlung keinen Abbruch tut, damit es nicht allein als "Fail state" sondern als sinnvoller Teil des Spielgeschehens begriffen werden kann. Andernfalls kann die Spieldynamik der Gruppe Schaden nehmen.