Wie stehst du zu Crossgender im Rollenspiel?Mein (fast) erster Char war Crossgender, als 16jähriger fand ich es einfach viel spannender, eine Elfe zu spielen als einen Elfen oder anderen Charakter.
Dabei ging es mir aber vermutlich weniger darum, das andere Geschlecht zu verstehen oder zu verkörpern, als das mir einfach die Idee so sehr gefiel, ähnlich wie es spannender war, in einem MMO weibliche Chars zu spielen, statt Männliche.
Ich war, denke ich zu dem Zeitpunkt pupertär und hab den Char vermutlich auch nicht so gut/komplex ausgespielt, wie ich das hete könnte und würde. Meiner Erinnerung nach war der Char aber nicht sexuell aufgeladen in irgendeiner Form, sondern eher asexuell. Und es war auch irgendwie typisch "Oldshool-DSA" zu beginn der 4ten Edition, also in den 2000ern.
Erst später ist diese Elfe in den Hintergrund meines Namensgebenden Chars Salandrion gerückt als seine Elfenmama. Zu dem Zeitpunkt hab ich sie aber garnicht mehr verkörpert.
Milyina, meine irre Elfe... ein bischen vermiss ich sie schon
Seit dem spiele immer noch primär DSA, dort spiele ich aber ausschließlich männlich gelesene Charaktere, auch weil es mir leichter fällt und mir "natürlicher" rüberkommt. Ich fokussiere mich auf andere Veränderungen.
Ich beschäftige mich mit dem Konzept Gender/Sex, gelesenes Geschlecht und ähnlichen Themen seit ein paar Jahren intensiv, doch seit dem hab ich kein neues Charakterkonzet entworfen, sondern eigentlich nur alte "aufgewärmt".
Auch scheint es mir in DSA-Gruppen wenig Raum für echtes ernsthaftes Geschlechterrollenspiel zu geben (zb. wirklch ernsthaftes "erleben" von der realität anderer Geschlechter oder eines Transgender-Chars), der Fokus liegt doch auf anderen Dingen. Und dann wird es sehr schnell Klischeehaft oder primär unbedeutend. Ganz ehrlich, ich glaub, ich hab sehr wenig von meinem frühen Crossgener über Weiblichkeit gelernt...
Dazu bräuchte es vermutlich eine "spezielle Gruppe", stelle ich mir zumindest so vor. In anderen Rollenspielen kann ich mir das viel besser vorstellen, es gibt ja sogar welche extra mit diesem Hauptfokus.
In One-Shots ect. stelle ich mir das aber auch zu klischeebeladen und komplex vor. Ich denke, die anderen SpielerInnen hätten andere Erwartungen an die Runde, als sich mit Geschlechtsidentität zu beschäftigen.
Als SL spiele ich andauernd Crossgender ich das und bin in meinen Runden immer mehr darauf aus, geschlechtsklischees zu durchbrechen und im Zweifel das Geschlecht des NSCs weiblich darzustellen.
Da bin ich die letzten 2-3 Jahre auch viel Empfindlicher geworden, was Sexismus und Klischees angeht und spreche das regelmäßig in meinen Gruppen an, wenn die Hintergrundgeschichte Geschlechterrollen in der Familie klischee-typisch verteilt oder keine Freunde des anderen geschlechtes vorgesehen sind. (Oder garkeine Freunde überhaupt...).
In meinen Runden lege ich wert darauf, das Menschen Charaktere spielen, die sie darstellen können und die glaubhaft und ernsthaft in die Welt finden. Wer das gerne mit einem Crossgender-Char tun will, gut, aber dann lass uns bitte drüber reden und auch diskutieren, wieso. Genau, wie ich auch Spielern sage: "muss dieser nicht wirklich mit der Story verbundene Exotenhintergrund sein? Was versprichst du dir davon? Soll nur cool aussehen?" Dann konzentrier dich doch lieber auf was anderes typisches passendes. Was nicht bedeutet, dass man keine Exoten spielen kann, nur dann sollte darauf der Fokus liegen und es nicht nur optisch schückendes Beiwerk sein.
Richtig schlechte Erfahrung hab ich auf Cons mit Crossgender gemacht. Da passt das, was Scafina sagt, einfach 1 zu 1 rein. Latexelfen, Klischees, Sexismus par exelance, ausgelebt in vermeidlicher offenheit in "ich spiele ja sogar weibliche Chars". Es war eklig, verstörend und in DSA-Runden, die ich damals primär gespielt habe, leider die Regel bei Crossgender-SpielerInnen. Beidseitig. Durch den viel höheren Spieleranteil aber erwartungsgemäß in eine Richtung krasser -> Latexelfen, Rahjageweihte, brünstige Kriegerinnen, Sexzauberinnen.
Die Erfahrung hab ich auch mal bei SR machen müssen, auch ein Grund, warum ich damit nie warm geworden bin.
Eine Sonderform von Crossgender gab es auch noch: Weiblich gelesene SpielerInnen, die keine Lust auf ständiges IT-Anbaggern hatten und deswegen formal nen männlichen Char gespielt haben.
Auch im Kontext unangenehm, wenn die männlichen Mitspieler so scheiße sind, Spielerinnen zu so was zu drängen...
Alles lange her, ich war schon ca. 10 Jahre nicht mehr auf Rollenspielcons und die Szene hat sich hoffentlich verändert.
Manchmal bekommen ich davon aber auch hier auf der Zwinge mit, insbesondere mit Oldschool-Rolelnspielern.
Was spricht für und was spricht gegen Crossgender im Rollenspiel.Pro:
-Wer es wirklich will und die Möglichkeit mit der Gruppe bekommt, es ernsthaft zu bespielen, kann sich mit anderen Rollen auseinander setzen und andere Perspektiven einnehmen.
-Mehr Freiheit
-Menschen können sich mit Dingen identifizieren und beschäftigen, die sie vielleicht sich sonst nie trauen, in sich zu hinterfragen.
-Sexismus und andere kompexe Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Transgendernormen und "soziales geschlecht" können im Rollenspiel und damit gesellschaftlich relevant werden.
Contra:
-zusätzliche Herausforderung: Es ist meistens herausfordernder, ein anderes Geschlecht zu bespielen. Rollenspiel fordert so schon, sich mit nicht alltäglichen Dingen auseinander zu setzen. Mehr und Mehr themen werden auch mehr und mehr komplexer und schnell werden dann klischees daraus oder eigentlich relevante Themen weggelassen.
(Wer hat sich schonmal mit Menstrutation, Wechseljahren oder Stimmungsschwankungen, Erektionsproblemen oder einer Blasenentzündung im Rollenspiel beschäftigt? Selbstwertprobleme wegen Gendernormen, Genderpaygap, Militärdienst, Selbstmordraten, geringere Lebensdauer. Alles Themen, die auch mit dem Geschlecht ins Spiel kommen könnten, aber meiner Erfahrung nahc nicht passieren)
-Klischee!!!: Bisher jedes mir bekannte Crossgender-Konzept ist mehr oder weniger Klischeeüberladen. und Zwar auf das geschlecht bezogen. Und das wären diese Konzepte eben nicht, wenn das Crossgender wegfällt. Die Frauen sind nie ganz normal, sondenr entweder in die eine oder andere richtung extrem. Großbusig oder flachbrüstig, hübsch oder abgrundtiefhexenhässlich, Rahjageweihte oder großgewachsene Kriegerin. Potenter Meistermagier oder schlacksiger somemrsprossiger Adelsspross. Klischees ohne Ende. Damit kommen wir auch gleich zum nöchsten Punkt:
-Fokus auf das Geschlecht: ganz ehrlich, in den meisten meiner Runden ist das Geschlecht der Charaktere völlig unwichtig. Ob sie jetzt Beroma oder Berona heißen. Mit Cossgender wird aber darauf wert gelegt und plötzlich sind klischees da, die vorher nie Thema waren. Und Themen, die vorher kaum relevant im Rollenspiel waren (weil der fokus anderswo liegt).
-Komplexes Thema wird vereinfacht: Wer ernsthaft spielt und die innere Welt von Charakteren zum Thema macht, der kann solche Themen wie Sexualität, Sexismus, Gleichberechtigung, aber auch Transsexualität, Vielfalt und sexuelle Offenheit angehen, ohne dass es Crossgender braucht. Meiner Erfahrung nach kann es aber mit Crossgender dazu führen, dass diese Themen dann als "noch fremder" weiter wegrücken.
Die meisten Menschen haben ja eben schon im eigenen sozialen Geschlecht genug Vorurteile, Probleme und vorbehalte gegenüber herausfordernden Themen.
-Latexelfen, es gibt sie, und ja, das sind auch ohne Crossgender geschmacklose RollenspielerInnen. (primär Männer)
Wer "Kein Crossgender" dran schreibt, der will vielleicht diese Leute von vorherein aussortieren. Kann ich teils nachvollziehen, auch wenn ich das nicht mache (sondern anders vor-/aussortiere)
Fazit: Es braucht mehr, als "Ich mach mal Crossgender". Es sollte ernsthaftes tiefgehendes Rollenspiel dazu gehören oder zumindest bewusstes Spiel, um Klischees bewusst anzugehen / zu vermeiden.
Denn sonst werden Rollenbilder weiter verfestigt, einem "gelesenen" / sozialem Geschlecht wird noch mehr Aufmerksamkeit gegeben, als es sein sollte und Klischees verfestigen sich ins uns, statt sich aufzulösen.
So kann es schnell ein Schritt in die falsche Richtung sein! Queerfeminismus. Sehr komplexes Thema. Und offensichtlich aufgeladen as fuck.
PS: Für mich hat Crossgender garnix mit Transgender zu tun. Wer sich als Y fühlt und Z spielt, macht Crossgender. Es geht um das Hineinfühlen, wer sich selbst so sieht, kann das besser als mit "fremden Geschlechtern".